„Gehst du nach England, vergiss den Regenschirm nicht“ oder „Schottland ist ein grünes Land, das hat seinen Grund“. Solche oder ähnliche Ratschläge bekommt man gern mit auf den Weg. Es ist gerade Mitte Juli und Deutschland stöhnt unter der Hitze. Ich verstaue noch meine Winterjacke in unserer Diesel-DA40. Auf den Shetland Inseln liegt die Temperatur nicht über 10 Grad C.
Ein paar Stunden später sind wir schon in Bournmouth, einem Seebad an der Südküste Englands. Und schon haben wir die erste englische Besonderheit. Großbritannien gehört zwar der Europäischen Union an, gehört aber nicht zu den Schengen-Staaten. Vor dem Einflug muss ein „General Aviation Report“ (GAR) übermittelt werden. Wie und wo wird im Internet erklärt. Wir hatten das Ding versäumt. Der freundliche Flugabfertiger sah das sehr gelassen. Es ist schließlich schon Nachmittag und die zuständige Polizeistelle schon geschlossen. Das Formular wird schnell gemeinsam ausgefüllt und vordatiert. Auch hier herrscht Sommer. Das milde Klima lässt Palmen und Bananenstauden sprießen. Auf der Standpromenade mit der pompösen Seebrücke herrscht reges Freitagabendgetümmel und ein kühles Bier macht uns wieder frisch.
Auf unserem Plan für den nächsten Tag steht die Südküste mit vielen Sehenswürdigkeiten und ein Ausflug zum westlichsten Punkt, den Scilly Islands. Daraus wird nichts. Eine kräftige Front schiebt sich über gesamt Westengland. Wir planen um, und das nicht zum letzten Mal. Das neue Ziel heißt Edinburgh, Kulturstadt und Hauptstadt Schottlands. Wir fliegen ohne Flugplan, habe unsere Strecke aber anhand der vielen VORs markiert. Die Route führt direkt nach Norden. Mal rechts ein Schlenker, mal links entlang zu einem der vielen Schlösser und Herrenhäuser. Die englischen Controller, die nach dem Eröffnungsfunkpruch mit einem freundlichen „please pass your message“ antworten, leiten uns professionell um oder durch die auf dem Weg liegenden Beschränkungsgebiete. Was auf der Flugkarte an einigen Stellen noch undurchdringlich erscheint, löst sich wie ganz von selbst auf.
Die grüne Landschaft Englands zieht unter uns hinweg, wir überfliegen die unsichtbare Grenze zu Schottland, es wird eine rauhgrüne Hügellandschaft. Wir nähern und der Edinburgh-TMA. Auf die Frage des Controllers, ob wir denn ein Arrangement mit dem Handling Agent hätten, müssen wir mit „negativ“ antworten. Jetzt hat es uns kalt erwischt! Ich hatte diese Vorschrift zwar in den Unterlagen gelesen, aber ebenfalls eine lockere Auslegung erwartet und wollte mich am Boden in die Hände des Agenten begeben, wie es auf anderen großen Plätzen üblich ist. Nur hier nicht. Eine Landeerlaubnis wird verweigert – Strafe muss sein. Aber der Lotse – er kann ja nichts dafür – empfiehlt uns den kleinen Platz FIFE (EGPJ) nur ein paar Minuten nördlich gelegen. Hier können wir in Ruhe weiter planen.
Der Handling Agent will ca. 250 £ (ca. 300 €) für seine Dienste. In dem kleinen Ort und seiner Umgebung ist keine Unterkunft zu bekommen – es findet gerade das größte Musikfestival der Gegend statt. Wir entscheiden uns für den einfachen aber teuren Weg. Eine viertel Stunde später überfliegen wir wieder die berühmte Forth Bridge und landen auf der 24 des Schottischen Hauptstadtflughafens.
Kultur und Whisky – mit diesen beiden Begriffen ist die Stadt am Firth of Forth definiert. Wir nehmen uns einen Tag Zeit, viel zu wenig um die Stadt wirklich kennen zu lernen. Aber eine Stadtrundfahrt im offenen Doppeldecker bei knalliger Sonne gibt uns einen Überblick. Man kann einen dritten Begriff hinzufügen: den Dudelsack. An fast jeder Ecke steht ein Herr in schottischer Nationaltracht, den Kilt über den Lenden, bunte Kniestrümpfe über den Waden und einen Federhut auf dem Kopf. Das Instrument fest unter dem linken Arm gehalten, entlockt ihm der Musikant in virtuoser Weise ohne jegliche weitere körperliche Regung seinen charakteristisch nervigen Klang.
Den Abend beschließen wir mit dem Nationalgetränk. Aus dem vorgewärmten Glas (bloß kein Eis, das ist ein Sakrileg) steigt der Duft in die Nase und der volle Geschmack entfaltet sich.
Das Wetter sieht gut aus. Es geht eine beachtliche Strecke über das Meer, wo Nordsee und Nordatlantik zusammentreffen, in Richtung Shetland Inseln. Viele kleine und auch Regionalflugplätze habe PPR-Status, eine telefonische Anmeldung ist erwünscht. Der hier erforderliche Flugplan ist schnell ausgefüllt und die Schwimmwesten wieder angelegt. Die Berge der Grampian Mountains mit Gipfeln von über 4000 ft sind noch von Wolken verhüllt. Wir nehmen deshalb eine östliche Route.
Nördlich von Aberdeen zeigt die Kursnadel auf Wick, dem nördlichsten Punkt auf dem Schottischen Festland. Fast unübersehbar ist die Vielfalt der großen und kleinen Inseln der Orkney Islands. Viele kleine Felsen und Eilande sind auf den Karten gar nicht eingezeichnet. Wir überfliegen Fair Isle, auf dem halben Weg zwischen den Orkneys und den Shetlands gelegen. Kaum besiedelt, aber in der Mitte des grünen Felsens ein Flugplatz. Sumburgh, der südlichste Ort der Shetland Inseln, kommt in Sicht. Eine kleine Sightseeinstour in nördlicher Richtung über der grünen Inselwelt schließt sich an bevor wir auf dem Sumburgh-Airport landen.
Das nahegelegene Hotel, mit Abholservice vom Flugplatz, gleicht einer kleinen Burg, 1867 erbaut aus behauenen Felssteinen, mit Spitzgiebeln und Türmchen. Die Luft hat angenehme 17 Grad. Meine Winterjacke kann ich getrost im Flugzeug lassen. Eine kleine Wanderung zu den südlichen Klippen birgt eine Überraschung. Vorbei an Schafen, Ponys, Mövennistplätzen erreichen wir die Vogelbeobachtungsstation (Seabird Monitoring at Sumburgh Head). Es schnattert, flattert und gleitet um uns herum. Besonders angetan haben es uns die Papageientaucher mit den knallroten Füßen und Schnäbeln. Stundenlang könnte man die Flug- und Landemanöver der Kunstflieger beobachten. Fußläufig zu erreichen ist auch noch die prähistorische archäologische Stätte Jarlshof aus der Bronzezeit.
Der Kurs zeigt wieder nach Süden. Bei Inverness kommen wir über die Schottischen Highlands, einer landschaftlich faszinierenden Gegend, in der der Whiskyduft über das Land weht. Wir durchfliegen den tektonischen Graben Great Glenn mit der markanten Seenkette. Mit Spannung schauen wir auf Loch Ness hinunter – Nessi, das Seeungeheuer, ist weit und breit nicht auszumachen.
Links von uns sehen wir den höchsten Berg der britischen Inseln. Ben Nevis hat mit einer Höhe von 1344 Metern noch schneebedeckte Gipfel.
Unser Ziel, der Platz Oban, ist in Sicht. Wir melden uns kurz und gönnen uns noch einen Rundflug über die Insel Mull. Ich suche die kleine Insel Staffa (Insel der Säulen). Auch hier gibt es wieder viel mehr Inselchen und Felsen als auf der Karte vermerkt. Also heißt es suchen. Die vierte der angeflogenen Inseln ist es. Deutlich ist die Formation der sechseckigen Basaltsäulen und die Höhleneingänge Der Fingal‘s Cave zu erkennen. Täglich wird die 200 mal 600 m große Insel von Ausflugsbooten angelaufen.
In Oban werden wir freundlich empfangen und ein Taxi bringt und in ein Hotel. Die Kleinstadt, über die Königin Victoria einmal gesagt hat: „one of the finest spots we have seen“, lebt auch heute noch weitgehend von Fischfang. Feinstes Meeresgetier wird in den Restaurants und am Hafen angeboten: Muscheln, Krabben, Garnelen, Langusten, Hummer – wir machen davon Gebrauch. Den Besuch
der örtlichen Whiskybrennerei sparen wir uns, im angeschlossenen Laden gibt es genug zu sehen. Ein wahrer Kult wir um das Getränk zelebriert. Der Showroom ist modern gestylt, hunderte Marken, tausende Flaschen betören das Auge. Wer will kann über 1000 Pfund für ein Fläschchen ausgeben.
Wolfgang besorgt sich am Automaten noch etwas Bargeld – und wird sich später wundern.
Was wir auf dem Hinflug wegen des Wetters nicht geschafft haben, soll nun auf dem Rückflug erledigt werden: Cornwall und die Südküste Englands. Als Festpunkt wählen wir den Regionalplatz Exeter. Sonnenbrandverdächtiges Wetter empfängt uns an der Südküste. Ein Tag zum Ausspannen. Wir wollen mit dem Zug an die Küste fahren. Wolfgang will den Fahrkartenautomaten mit seinem frisch erworbenen Geld füttern – und nichts passiert. Wie wir erfahren, gibt es Englische und Schottische Geldscheine, wobei die schottischen vielfach in England nicht akzeptiert werden. Im Post Office wird die „Fremdwährung“ umgetauscht.
Wir genießen einen Tag im Seebad Exmouth und schlendern abends noch durch die Universitätsstadt Exeter. Insbesondere ist die ab dem 12. Jahrhundert errichtete Kathedrale beeindruckend.
Der nächste Flugtag wird geplant. Wir kommen zum Flugplatz und werden gleich lautstark empfangen. Die Tanks unseres Flugzeugs sind leck, Kraftstoff läuft aus und hat schon den Asphalt der Abstellfläche beschädigt. Man habe schon Sicherungsmaßnahmen getroffen. Das wird uns wohl 300 Pfund kosten. Das schauen wir uns erst einmal an. Tatsächlich tropft Kraftstoff aus der linken Fläche. Aber die Ursache ist schnell gefunden. Nach der Landung am Vortag haben wir auf Anraten des Personals gleich getankt, da es morgens wegen größeren Andrangs lange dauern kann. Die Abstellfläche war leicht geneigt und der Kraftstoff war über den Überlauf aus dem rechten in den linken Tank gelaufen und dann aus der Entlüftung ausgetreten. Da uns die Position von Tower zugewiesen wurde und der Tankvorgang auf Anraten des Personals stattfand, wurde uns die Kosten erlassen.
Für den Weiterflug haben wir wieder die Rechnung ohne das Wetter gemacht. Von Westen her ist wieder eine undurchdringliche Front herangezogen. Länger warten wollen wir auch nicht, also beenden wir England hier und geben unseren Flugplan zum französischen Calais auf. Der GAR (General Aviation Report) ist bei der Ausreise nicht erforderlich. ATC führt uns problemlos durch den etwas unübersichtlichen Luftraum an der englischen Südküste. Je weiter wir nach Osten vordringen desto besser wird das Wetter. Schon von der britischen Insel können wir das kontinentale Festland sehen. Calais empfängt uns im besten Sonnenschein.
Zum Abschluss unserer Reise genießen wir noch einmal die französische Küche. Die Platte mit Krustentieren aller Art ist überwältigend – und hat auch ihren Preis. Jetzt meinen wir, sparen zu müssen und nehmen am nächsten Morgen den Bus für 1 € zum Flugplatz. Der hält aber nicht direkt am Platz. Also trotten wir mit unseren Rollkoffern einen guten Kilometer über die Landstraße zum Ziel.
Was beim Hinflug wegen schwierigen Wetters nicht geklappt hat, holen wir jetzt nach. Es geht immer entlang der Küste durch Frankreich, Belgien, Niederlande über die westfriesischen Inseln nach Deutschland. Wir passieren die bekannten Badeorte Oostende, Zeebrugge, Knokke, Den Helder; die Häfen von Dunkerque und Rotterdamm. Die Kontrollzonen und Beschränkungsgebiete stellen kein Hindernis dar. Wieder führt uns ATC durch die Lufträume. Nur in der Amsterdam-Area müssen wir auf 1500 ft runter. Beeindruckend sind die Hochwasserschutzbauwerke an der holländischen Küste, die nach der großen Sturmflut von 1953 angelegt wurden. Das Wattenmeer vor den West- und Ostfriesischen Inseln mit seinen Sielen und Sandbänken wirkt wie von Künstlerhand gemalt. Noch zwei Stunden Flug und unsere DA40 setzt nach 24 Flugstunden wieder am Heimathafen Schönhagen auf.
(Bericht von Bernd Clemens)
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